Voll beladen mit einem Haufen Rucksäcke, Taschen, einem unglaublich großen Beutel voller T-Shirts mit dem Aufdruck “Say it loud, say it queer!”, einem Koffer mit CD’s sowie einem Koffer mit Technik und einer 3,5 kg schweren Tüte mit Hallorenkugeln stehen Lady Lazy, FVU und ich am Bahnhof in Naumburg. Es ist kalt, es regnet, die Toiletten sind nicht begehbar, der Zug hat eindeutig zu viel Verspätung und unser Gesichtsausdruck spricht Bände. “Das wäre alles viel einfacher wenn wir jetzt ein Auto hätten!” nörgelt Helen mit einem leicht verzweifelten lächeln. Seufzend schaue ich zu ihr herüber und meinen Lippen entfließt ein “Da hast du wohl recht.” während mein Körper sich noch ein bisschen mehr zusammenklappt und die frustriert gebeugte Körperhaltung nun endgültig nach außen hin präsent ist. Ein Auto haben, genau das ist der Knackpunkt dieser Geschichte, welche ihren Anfang aber ganz woanders findet.
Ein wenig zu spät, ausgehungert und übermüdet, kommen Helen, Schnibbi, Maya und ich in Halle an. Wir befinden uns gerade auf Tour, “Retten was zu retten ist” – einen Gig in Cottbus haben wir schon hinter uns. Für einige von uns ging der Tag in Cottbus noch etwas länger als für die anderen, mit den Menschen vor Ort auf dem Dach chillen und Bier trinken war einfach zu verlockend als dass ich schlafen gegangen wäre. Die Folgen von Suff und nur drei Stunden Klüsen-Entspannung sind für mich inzwischen deutlich spürbar. Nützt ja aber alles nix, jetzt erstmal in Halle ankommen, lecker Wraps mit Chillie futtern, kurz quatschen, aufbauen und den Auftritt starten. Entgegen aller Erwartungen wird es in Halle angenehm voll – der Auftritt macht richtig viel Spaß. “Geil!” denke ich mir und erreiche im Kopf so langsam den Zustand der völligen Übermüdung, was mich auf eine gewisse Art und Weise wieder wacher macht.
Nach meinem Auftritt spielen noch Lady Lazy und Haszcara, und FVU lässt mit seiner Mukke nochmal schön den Schweiß von der Decke tropfen. Ich gönne mir inzwischen das erste Bier des Abends und habe echt tolle Gespräche mit den Menschen vor Ort. Maya entscheidet sich relativ umgehend nach ihrem Auftritt noch nach Leipzig zu fahren, da sie eh erst in ein paar Tagen wieder zu uns stößt wenn wir den nächsten Gig haben. Dem Zustand der Personen nach, die das Auto noch fahren könnten mit dem wir heute angekommen sind, wird schnell deutlich hier fährt heute niemand mehr und so bleibt uns nichts anderes übrig als mit unsereme Kram zum Schlafplatz zu laufen. “Hätten wir doch jemanden der das Auto fährt, oder noch besser könnte das Auto doch alleine fahren.” denke ich still bei mir während ich die schwere große Tasche mit meinen Klamotten quer durch Halle trage.
Der nächste Tag, wir haben endlich ordentlich ausschlafen können und ein fürstliches Frühstück aus den Wraps des Vorabends hinter uns. Jetzt ist erstmal die Halle Erkundungstour angesagt. Schön durch den Park und dann auf die Berge. In der Nacht entschließen wir uns noch dazu eine Stadtteil Besichtigung zu machen, denn hier gibts echt geile Street Art wird uns versprochen. Schnell wird uns klar das wird unseren Erwartungen mehr als gerecht. Wir machen viele Bilder und lassen uns ein wenig vom kreativen Geist der Künstler*innen berauschen, welche diese Bilder an die Wände der Stadt gebracht haben. Das ist übrigens dieselbe Nacht in welcher wir gut 3,5 kg Schokolade erbeuten.
Wieder einen Tag später, es ist Montag. Das Frühstück fällt heute etwas reichhaltiger aus, was wie sich später herausstellen sollte auch wirklich gut ist. Gegen 15:00 Uhr sind wir dann auch endlich soweit losfahren zu können. Wir bedanken und verabschieden uns bei unserem Gastgeber und steigen in das Auto. Innerhalb weniger Minuten erreichen wir die Autobahn, ich setze noch einen kleinen Danke-Post auf Facebook ab und freue mich schon auf Saalfeld. Hier haben wir die Möglichkeit mal ein paar Tage Urlaub zu machen und uns vom Alltagsstress der Großstadt zu erholen. Helen freut sich dass sie sich so gut an das Auto gewöhnt hat und sagt “Hey, vielleicht könnt ihr ja mal ein Foto von mir machen wie toll ich… ” >>ratsch<< >>schleif, schleif, schleif, … << . Irgendwie hört sich da was komisch an. Die Motorkontrolleuchte blinkt. “Das Auto zieht nicht mehr” sagt Helen im Angesicht der Situation erstaunlich gelassen. Wir fahren auf den Standstreifen. Das Auto neu anlassen? Fehlanzeige, da geht nix mehr. Jetzt muss alles ganz schnell gehen – Warnwesten an, Warndreieck aufstellen, ADAC anrufen …
Da stehen wir also auf der A38 kurz vorm Zubringer auf die A9 und warten auf die Pannenhilfe. Da wir alle keine große Ahnung von der Funktionsweise eines Automotors haben, bleibt uns nichts anderes als zu spekulieren und zu hoffen dass das alles doch nicht so schlimm ist. Das Graue, kalte Wette macht unsere Lage leider auch nicht entspannter. “Immerhin hat es nicht angefangen zu regnen.” meint Helen. “Hör auf sowas zu sagen, damit forderst du das Schicksal heraus!” entgegnet Schnibbi ruhig. “Als ob” denke ich bei mir, lache aber dennoch zustimmend.
Es beginnt zu regnen. Langsam frage ich mich ob an Schnibbis Aussage doch etwas wahres dran ist, es war schließlich nicht das erste mal auf dieser Tour das ein Satz mit welcher mit “Immerhin” eingeleitet wurde, genau dazu führte dass etwas nerviges passiert. Als wäre das nicht schon genug, werfen wir einen vorsichtigen Blick auf unser Warndreieck, welches sich mit seiner Stabilität und Wetterfestigkeit auszeichnete indem es auf die Fahrbahn geweht wurde um da von diversen Autoreifen platt gefahren zu werden. “Tolles Warndreieck!” sage ich genervt und trete ein Stück Rasen aus dem Boden.
Nach gut einer halben Stunde sehen wir den Abschleppwagen des ADAC vor uns auf den Standstreifen fahren. Ohne zu grüßen steigt ein Mitarbeiter des Pannendiestes aus dem Fahrzeug, geht zielstrebig auf das kaputte Warndreieck zu und tritt dieses von der Fahrbahn. Danach läuft er zu uns “Wo ist denn das Problem?” fragt er schreiend um den Autobahnlärm zu übertönen. Wir beschreiben ihm was passiert ist, daraufhin setzt er sich in das Auto und versucht es an lassen. “Da geht nix mehr, Motorschaden!” ruft er und zeichnet mit dem Zeigefinger ein Kreuz in die Luft. Er lädt das Auto auf sein Abschleppfahrzeug, wir steigen ein und er fährt uns direkt zur nächsten Werkstatt. Nach dem Abladen bedanken wir uns bei ihm und regeln alles nötige zur Anmeldung.
Gestrandet in Weißenfels, mit nem Motorschaden einem haufen Gepäck und kiloweise Schokolade. Irgendetwas in mir will schreien, weinen und einem eventuell zufällig vorbeilaufendem Nazi den rechten Arm ausreißen zugleich. Aber es nützt ja alles nichts. Also rufen wir uns ein Taxi, welches uns zum Weißenfelser Bahnhof fährt und steigen in den nächsten Zug, zunächst nach Naumburg.
Es ist inzwischen 20:15 Uhr als wir Naumburg erreichen. Unser Anschlusszug welcher hätte 15 min später kommen sollen, hat nochmal 25 min Verspätung. “Es wäre alles viel einfacher wenn wir jetzt ein Auto hätten.” – Es wäre vermutlich auch einfacher gewesen wenn die Toiletten funktionieren würden, es etwas zu Essen gäbe, das Wetter schöner und vor allem wärmer wäre und dieses beschissene Zug einfach pünktlich käme! Mit einer aggressiven Grundstimmung und mehr als frustriert sitze ich inzwischen die dritte Zigarette rauchend auf dem Bahnsteig und hoffe dass der Zug nicht mehr allzu lange auf sich warten lässt.
20 min später, der Zug ist da! Mehr als enthusiastisch rennen wir wie bekloppt ohne Rücksicht auf Verluste durch die offenen Türen und beschlagnahmen 4 Sitze für uns und unser Gepäck. Als der Zug losfährt merke ich wie langsam die Entspannung durch meinen Körper fährt. Geistig allerdings sind wir alle jetzt schon völlig drüber, die kleinste Kleinigkeit führt immer wieder zum Lachanfall unseres Lebens.
21:45 Uhr endlich kommen wir in Saalfeld an und werden von unserem Gastgeber abgeholt. “Ich könnte mir gerade nichts schöneres vorstellen!” rufe ich, als ich das Auto den Bahnhof einbiegen sehe. Freudig falle ich ihm als er aussteigt um den Arm. “Jetzt kann nichts mehr schief gehen!”, denke ich bei mir. Aber wer weiß, die Tour geht ja noch ein Stückchen …